Donnerstag, 25. September 2014
Pünktlich um 9.44 Uhr Ankunft am Bahnhof Zaqatala. Der liegt einsam in der Ebene. Bis in die Stadt sind es einige Kilometer. Die Sonne scheint kräftig, aber im Schatten ist es ganz schön frisch. Ein Taxifahrer winkt mich zu sich, nicht etwa umgekehrt. Sein alter Lada ist unverwüstlich. Er zeigt mir während der Fahrt, dass in der Ferne auf den Berggipfeln Schnee liegt.
Ich habe mir die günstigste Pension in Zaqatala ausgesucht, der Taxifahrer führt mich ins Haus. Die Unterkunft ist einfach, nicht unbedingt sehr sauber und… „die Sanitäreinrichtungen entsprechen nicht europäischem Standard“. Die Gaststätte hat Tische draußen, mit Blick auf den Busbahnhof. Die beiden Kellner sind damit beschäftigt, Tabletts mit Teekannen und Gläsern zu den Bussen zu tragen.
Pünktlich um 9.44 Uhr Ankunft am Bahnhof Zaqatala. Der liegt einsam in der Ebene. Bis in die Stadt sind es einige Kilometer. Die Sonne scheint kräftig, aber im Schatten ist es ganz schön frisch. Ein Taxifahrer winkt mich zu sich, nicht etwa umgekehrt. Sein alter Lada ist unverwüstlich. Er zeigt mir während der Fahrt, dass in der Ferne auf den Berggipfeln Schnee liegt.
Ich habe mir die günstigste Pension in Zaqatala ausgesucht, der Taxifahrer führt mich ins Haus. Die Unterkunft ist einfach, nicht unbedingt sehr sauber und… „die Sanitäreinrichtungen entsprechen nicht europäischem Standard“. Die Gaststätte hat Tische draußen, mit Blick auf den Busbahnhof. Die beiden Kellner sind damit beschäftigt, Tabletts mit Teekannen und Gläsern zu den Bussen zu tragen.
An einem Tisch sitzen ein paar Männer mittleren Alters und
winken mich heran. Sie sind bestens gelaunt, leutselig, neugierig und nett. Es
gibt erstmal Tee. Mit aromatischen Körnern drin, vielleicht ist es Anis. Nach
einer Weile fährt jemand mit dem Auto vor und bringt eine Flasche aserbaidschanischen
Schnaps mit, die begutachtet wird. Plötzlich sind Gläser da, die Flasche wird
geöffnet und ich muß mittrinken. Statt wie die Männer das Glas in einem Zug zu
leeren, trinke ich nur die Hälfte. Nachher nippe ich nur noch. Das ist auch
gut, denn nach jeder Runde werden alle Gläser wieder bis zum Rand gefüllt
(„Mein Freund, das hier ist Aserbaidschan und nicht Deutschland“). Wir alle
unterhalten uns prächtig auf Aserbaidschanisch und Russisch, was ja fast meine
besten Fremdsprachen sind. Ich lerne, dass die Formel „Sağ ol“ nicht nur Danke,
Gesundheit und Auf Wiedersehen bedeutet, sondern auch Prost! Zwei der Männer
waren früher mal bei der Roten Armee in Deutschland stationiert. Zu „Germania“
gehört auch Hitler: Einer deutet auf das Hakenkreuz, das auf seine Hand
tätowiert ist, und sagt „Deutschland - gut!“, und ich muß doch eine andere
Meinung zu „Gitler“ und was er aus der Welt gemacht hat, kundtun. So geht es
immer weiter, bei der zweiten Flasche wird dann auch etwas zu essen serviert:
Kleine rote Beeren, die fruchtig-süß-sauer schmecken und mit Salz gegessen
werden. Weintrauben aus dem Ort. Eine Art Maultaschen mit einer gut gewürzten
zähen Hackfleischfüllung (Hammel?) in heißer Brühe und Butter. Dazu Brot,
Schafskäse und noch mehr Butter. Ich werde aufgefordert, alles zu probieren,
man zeigt mir, wie man die Maultaschen mit dickflüssigem Traubensirup
bestreicht. Ich esse artig alles, freue mich über das ganz unverhoffte
kulinarische Erlebnis. Immer, wenn ich meine kleine Portion aufgegessen habe, wird
sofort nachgelegt und gleichzeitig fürsorglich eine neue aufgetragen, es ist
eine Art Schlaraffenland. Nach 2 oder 3 Stunden entschuldige ich mich und
bringe meinen Rucksack aufs Zimmer, muß auch mal Blutzucker kontrollieren. Als
ich nach ein paar Minuten zurückkomme, ist der ganze Spuk vorbei: Die Männer
sind weg, der Tisch abgeräumt und gewischt, alles ist bezahlt.
Mit
Schnaps im Blut (aber nicht ernsthaft schlimm) mache ich mich auf dem Weg durch
Zaqatala. Die Aufteilung des Gepäcks von gestern abend bewährt sich. Ich lasse
den Rucksack in der Pension. Das Zimmer hat zwar eine Tür, die ist aber nicht
ganz in Ordnung, geschweige denn abschließbar. Die Toilette im Haus ist
gleichzeitig das Klo der Kneipe. Meine wichtigen Sachen (hauptsächlich Papiere
und Insulin) nehme ich im Stoffbeutel mit. Hier ist es so ganz anders als in
Baku. Der Straßenverkehr hat viel mehr Platz, scheint aber völlig frei von Regeln
zu sein: Alle Autos fahren so schnell wie möglich und auf so geradem Weg wie
möglich irgendwohin. Im Allgemeinen herrscht Rechtsverkehr.
Im Zentrum
steht die Ruine einer alten Kirche (Armenisch? Albanisch? – Hier gibt es auch
Albaner, die mit denen in Südeuropa aber nichts gemeinsam haben). Innen in der
Kirche sehe ich Graffiti auch in kyrillischen und zum ersten Mal in georgischen
Buchstaben.
Ich laufe ein paar Kilometer weiter bergauf und komme nach
Car, dem Nachbardorf. Der Friedhof ist ganz interessant. Grabinschriften auf
Russisch, Arabisch , Aserbaidschanisch in kyrillischer und lateinischer
Schrift. Neuere Grabsteine haben oft ein aufwendig gestaltetes Portrait des
Verstorbenen. Ein Grab hat einen kleinen Ölbohrturm als Grabmal. Ich sehe einen
alten Mann zu einem Gebäude schlurfen und eine Minute später erklingt der Ruf
des Muezzins – nicht aus der „Konserve“, sondern „live“.
Heydar Aliyev
Im ganzen Land wird ein ungehemmter Personenkult um Heydar Aliyev betrieben. Der 2003 verstorbene Präsident hat das Land aus der Sowjetdiktatur in eine glückliche Zukunft geführt und den sogenannten Jahrhundertvertrag unterschrieben, ein Öllieferungsabkommen mit Ölkonzernen, das Aserbaidschan oder zumindest seiner Führung Wohlstand und Sicherheit auf lange Dauer verschafft hat. Ähnlich wie früher von Lenin gibt es in jeder Stadt mindestens ein großes Denkmal von ihm. Die größten und schönsten Straßen und Plätze sind nach ihm benannt, aber auch besonders wichtige Gebäude. In jedem öffentlichen Gebäude und darin möglichst auch in jedem Zimmer hängt wenigstens ein Porträt von ihm, oft aber auch gemalte oder fotografierte Darstellungen besonders wichtiger Momente (Händeschütteln). Gern auch mit seinem Sohn und in Größe einer ganzen Wand. Der Sohn ist sein Nachfolger im Präsidentenamt geworden. |
Am Ortsausgang von Zaqatala in Richtung Car ist eine große Parkanlage, der "Heydar-Park" mit Freilichtbühne, Teestube, Kinderspielgeräten undsoweiter.
Das Dorf Car ist sehr schön. Traditionelle Höfe mit einer
offensichtlich noch gut funktionierenden Landwirtschaft. Es ist Walnußernte. In
manchen Bäumen sitzt jemand und schlägt mit einem Stock die reifen Walnüsse
herunter. Im Reiseführer habe ich
gelesen, daß Zaqatala große Mengen Haselnüsse anbaut und die Schalen im Winter
zum Heizen benutzt.
Es geht immer weiter die steile Straße bergauf, dann ist der geteerte
Teil zu Ende. Etwas weiter oben spricht mich ein Jugendlicher auf Englisch an,
lädt mich zum Tee ein. Die Familie sitzt ein paar Häuser weiter im Garten, auf
dem Tisch ein Samowar. Sie sind alle freundlich, interessieren sich für
Deutschland, erzählen auch von sich. Der Junge ist 16, heißt Nurullah („Gottes
Lichtschein“ und kurz: Nurik) und macht nächstes Jahr Abitur. Er liest gern,
zeichnet, spielt Gitarre – die holt er aus dem Haus und singt ein Lied. Dann
geht er mit mir bergab ins Dorf, um den Turm des Çingis oder Cingöz zu besichtigen. Das ist der Rest eines historischen Gebäudes aus dem 16.Jh. Darin wohnte der Herrscher, denn das Dorf war mal ein eigener Kleinstaat. Hier im Kaukasus gibt es viele Völker, auch viele Sprachen, und für mich als Touristen stellt sich das alles etwas undurchsichtig dar. Neben dem Turm wohnt Herr Cingözov und macht mit uns eine kurze Besichtigung. Er ist der Nachfahre des Çingis (Name!) , spricht leider kein Englisch.
Die Dorfbewohner sind sehr stolz auf ihre große Geschichte
und auch die Jugend (Nurik) interessiert sich dafür und hält es für wichtig,
die Traditionen zu wahren und weiterzugeben. Herr Çingözov schenkt mir
Fotografien mit alten Ansichten des Turms und ein signiertes Portrait von sich.
So viel Ehre rührt mich sehr - das ist doch eine umwerfende Gastfreundlichkeit! Zum Abschied bringt er
als Erfrischung noch einen Krug Wasser aus dem eigenen Brunnen. Er ist Nuriks
Lehrer an der Schule hier im Dorf. Die beiden schlagen vor, ich soll doch morgen
mal die Schule besuchen kommen, und wir verabreden uns für 11 Uhr. Nurik
schreibt mir den Namen der Schule auf ein Stück Papier, damit ich mich notfalls
nach dem Weg erkundigen kann.
Mit der Marschrutka geht es talwärts zurück nach Zaqatala. Hinten sitzt ein Junge mit einer Schirmmütze, auf der in großen kyrillischen Buchstaben ДАГЕСТАН (Dagestan) steht.
Mit der Marschrutka geht es talwärts zurück nach Zaqatala. Hinten sitzt ein Junge mit einer Schirmmütze, auf der in großen kyrillischen Buchstaben ДАГЕСТАН (Dagestan) steht.
Abends in der Gaststätte eine Tischrunde mit Einheimischen. Als
Knabberei zu den Getränken gibt es heiße Kichererbsen mit Salz. Meine
Familienfotos, die ich mitgebracht habe,
werden herumgereicht, und zu meinem Erstaunen interessiert man sich nicht
nur aus Höflichkeit, sondern ganz ehrlich für meine Familie, für deren Vornamen und
Beruf. Meine Töchter sind natürlich ganz beliebt. Der Besitzer der Kneipe
betrachtet die Fotos ganz genau. Er möchte unbedingt nach Deutschland kommen,
um uns zu besuchen. Er würde am liebsten bald mein Schwiegersohn werden und
bedeutet mir, daß Geld kein Problem ist.
Ich glaube, er meint es ernst.
Irgendwann bin ich müde, diesmal zahle ich die Rechnung, das ist hier nicht anders üblich, es zahlt immer nur einer. Ich gehe schlafen, das Bett ist unbequem weil viel zu durchgelegen. Nachts werde ich wach und stelle fest, daß in dem zweiten Bett im Zimmer jemand liegt und schnarcht.
Freitag, 26. September 2014
Am Morgen ist es hell und ich sehe, wer da schnarcht: der kräftigste Mittrinker des Abends. Ich gehe ins Bad. Es gibt nur kaltes Wasser, und bei ca. 12 Grad macht die Morgendusche mich komplett munter und fit. Aber schön ist es nicht. Es gibt nur eine Hocktoilette, die mir nicht angenehm ist, und auch sehr dreckig.
Irgendwann bin ich müde, diesmal zahle ich die Rechnung, das ist hier nicht anders üblich, es zahlt immer nur einer. Ich gehe schlafen, das Bett ist unbequem weil viel zu durchgelegen. Nachts werde ich wach und stelle fest, daß in dem zweiten Bett im Zimmer jemand liegt und schnarcht.
Freitag, 26. September 2014
Am Morgen ist es hell und ich sehe, wer da schnarcht: der kräftigste Mittrinker des Abends. Ich gehe ins Bad. Es gibt nur kaltes Wasser, und bei ca. 12 Grad macht die Morgendusche mich komplett munter und fit. Aber schön ist es nicht. Es gibt nur eine Hocktoilette, die mir nicht angenehm ist, und auch sehr dreckig.
Was der Wasserkrug macht
Hier steht neben dem Klo ein Wasserkrug. Schon mehrmals habe ich gelesen, daß in muslimischen Ländern auf der Toilette Wasserkrüge bereitstehen, die den Zweck erfüllen, zu dem wir Toilettenpapier verwenden. Damit endet die Auskunft. Nähere Informationen fehlen. Wie geht das nun genau? Immerhin macht es ein wesentlicher Teil der Erdenbevölkerung so. Auch aus religiösen Gründen.
Hier ist der Krug aus Plastik und hat, wie eine Blumengießkanne, eine lange Tülle, die unten angesetzt ist. Das Loch am Ende der Tülle ist ziemlich klein. Bei vollem Krug tritt das Wasser also mit hoher Geschwindigkeit und etwas Druck aus. So entsteht ein Strahl, der, mit dem Krug in der rechten Hand erzeugt, es erlaubt, den Po mit der linken Hand zu säubern. Das wird sauberer als mit Papier. Solange nur genug Wasser da ist. Die Krüge stehen bereit, wenn es direkt am Klo kein fließendes Wasser gibt (Schlauch oder ein extra Wasserhahn im Sitz-WC).
Die Kunst besteht wohl darin, das mit heruntergelassener Hose im Hocken zu erledigen, ohne Wasser auf die Kleidung gelangen zu lassen. Wenn dies ein Aserbaidschaner (also wahrscheinlich Orxan) liest, kann er mal sehen, wie wenig manche Leute über so wichtige Dinge wissen.
In meinem Gepäck befand sich auch eine Rolle Toilettenpapier.
Um 10 Uhr mache ich mich in Richtung Car auf, will ja
um 11 in der Schule sein. Durch ein Mißverständnis setze ich mich in die
falsche Marschrutka, die statt nach Car nur eine große und langsame Runde durch
ganz Zaqatala fährt. So komme ich trotz Verabredung erst um 12 statt um 11
Uhr zur Schule. Das ist mir sehr unangenehm. Nurik treffe ich schnell, es ist
gerade Pause. Ich werde den Lehrern vorgestellt, die Englischlehrerin kümmert
sich um mich, wir plaudern ein bißchen, man zeigt mir die Schule und die Räumlichkeiten.
Die Ausstattung ist ganz gut, erinnert mich sehr an meine Schulzeit.
Biologiesaal, Computerkabinett,
Klassenzimmer. Irgendwie herrscht auch die gleiche Stimmung wie in
deutschen Schulen. Und die Schüler sind ziemlich gut erzogen. Chaotisch, aber keine Rüpeleien. Manche schauen mich
neugierig an, fast wie einen Außerirdischen,
manche schelmisch. Zwar gibt es keine Schuluniform, aber
Kleidungsvorschriften: Schwarze Stoffhose und weißes Hemd / weiße Bluse ist
Pflicht. Ich nehme am Englischunterricht teil. Die Klasse besteht aus nur
sieben Schülern, die sich wiederum auf drei Jahrgänge verteilen. Ich sitze ganz
vorne neben einem Schüler, der Lasso heißt. Unterrichtssprache ist Russisch.
Denn die meisten Materialien zum Englischlernen, die es hier gibt, sind
ebenfalls russisch. Die Lehrerin hat einen kleinen Englischkurs aus Zeitungsausschnitten in ein
Heft zusammengeklebt. Den hat sie gesammelt, als sie Anfang der 1990er Jahre in Moskau „am
Institut“ studierte. Sie ist sehr
engagiert. Mein deutschsprachiger
Aserbaidschan-Reiseführer wird herumgereicht und fasziniert alle. Ich passe gut
in den Unterricht, weil es gerade eine Lektion zum Thema „Tourismus“ gibt. Es
geht um eine Reise ins Ausland, und wie man sich darauf vorbereitet. Man solle
etwa ein paar Worte und Redewendungen
der Landessprache lernen – ich präsentiere meinen „Spickzettel“ , auf dem ich
die wichtigsten Sätze auf Deutsch und Aserbaidschanisch notiert habe. Der wird
ebenfalls herumgereicht und bestaunt. Nurik schreibt ihn für sich sogar ab. Dann wieder eine kurze Pause.
Ein paar Schüler nutzen meine Anwesenheit, um die nun
folgende Stunde Geschichtsunterricht nicht besuchen zu müssen. Wir bleiben
draußen auf dem Schulgelände. Sie unterhalten sich in einer Sprache, die mir
völlig unbekannt erscheint. Als ich danach frage, sagen sie nur: Ach, das ist
Avar (Awarisch), das ist halt unsere
Sprache. Eine der vielen kaukasischen Sprachen. Man ist hier wirklich
polyglott. Avar hat einen sehr schönen melodischen Klang. Sie hat auch den
hellen „ch“-Laut wie im deutschen „Ich“.
Ich lasse mir ein paar Sätze auf mein Handy sprechen. Es gibt ein mehrere
Meter hohes Sportgerüst. An den Metallstangen klettern die Jungs hoch – nur mit
den Händen, ohne Hilfe der Beine! Bei meinem Versuch scheitere ich sofort. Ich frage mich nach dem Zweck des kleinen
Nebengebäudes: - Das ist für den Schießunterricht, da sind die Waffen drin. Die
nächste Stunde ist Physikunterricht. Der Lehrer spricht nur Aserbaidschanisch
und Russisch (sicherlich auch Avar), ist zwischen 50 und 60 und gutmütig. Lasso
löst an der Tafel eine Rechenaufgabe. Dann ist der Schultag vorbei, Nurik hat
einen Termin und fährt mit der Marschrutka weg.
Ich gehe abseits des Dorfes durch das breite Gebirgsbachtal
zurück in die Stadt. Hier fließt jetzt nur wenig Wasser. Die Talsohle ist
zwischen 50 und 200 Meter breit und voller Geröll. Die Schneeschmelze des
Großen Kaukasus hat mit riesigen Kräften eine wilde Unordnung geschaffen.
Am späten Nachmittag kehre ich zurück zur Pension. Am
Busbahnhof ist nicht mehr viel los. Eine Marschrutka nach Şəki steht bereit –
ich entscheide mich für einen Ortswechsel, hole schnell meinen Rucksack aus dem
Zimmer und verabschiede mich von den Kellnern. Einer der Männer von gestern
vormittag ist da und schreit mir nochmal seine Meinung zu Hitler auf Russisch
ins Ohr.
Die Marschrutka, deren Reifen ich beim Warten betrachte und
als nicht fahrtauglich einstufe, fährt durch das endlos weite steppenartige
Tal. Der Blick zur Linken auf die Berge mit ihren schneebedeckten Gipfeln
erinnert mich dauernd an das Wort „Majestätisch“. Die Berge zur Rechten sind
weniger hoch und liegen schon im Nachbarland Georgien, das hier „Gürgüstan“
heißt. Die Straße ist geteert, aber in schlechtem Zustand. 30 km/h ist die
Geschwindigkeit. Hier und da steigen Fahrgäste ein oder aus. Auch ein paar
einzelne Uniformierte. Die bezahlen beim Aussteigen nichts. Polizisten oder Soldaten fahren in
Aserbaidschan immer kostenlos, im Gegenzug sind sie ein Passierschein für jede
der zahlreichen Straßenkontrollen.
In Şəki am Busbahnhof steht sofort ein Taxifahrer bereit. Er
bringt mich nicht nur zur Unterkunft „Pensionat“, sondern begleitet mich bis an
die Rezeption. Obwohl es nur in Sekundenbruchteilen ganz unauffällig erledigt
wird, bemerke ich es doch: Für den zahlenden Gast, den er bringt, bekommt der
Taxifahrer vom Hotelangestellten einen Geldschein. Die billigsten Zimmer sind
schon belegt, ich bekomme ein sehr großes mit eigenem Bad und Balkon.
Die ausgiebige Dusche und Rasur tun mir gut. Obwohl das
Zimmer im Vergleich zur letzten Nacht geradezu fürstlich ist, schlafe ich ohne
erkennbaren Grund schlecht. Am Kopf bin ich ziemlich rot von der Sonne, die ich
doch unterschätzt habe.
Sonnabend, 27. September 2014
Şəki
Am Morgen ist draußen viel los: Das Hotel liegt gleich gegenüber vom Basar mit morgenländischem Gewimmel und Getummel. Alte russische Autos dominieren das Bild, und viele geschäftige Männer. Ich verlasse das Pensionat Sahil, laufe ein bißchen rum. Vor den Fleischereien hängt ein Rinderbein oder ein Truthahn draußen an einem Haken, wer etwas kaufen möchte, bekommt es davon direkt abgeschnitten.
Sonnabend, 27. September 2014
Şəki
Am Morgen ist draußen viel los: Das Hotel liegt gleich gegenüber vom Basar mit morgenländischem Gewimmel und Getummel. Alte russische Autos dominieren das Bild, und viele geschäftige Männer. Ich verlasse das Pensionat Sahil, laufe ein bißchen rum. Vor den Fleischereien hängt ein Rinderbein oder ein Truthahn draußen an einem Haken, wer etwas kaufen möchte, bekommt es davon direkt abgeschnitten.
Die Menschen grüßen freundlich zurück, wenn ich grüße. Als Tourist bin ich ziemlich auffällig, man sieht mir hinterher. Komisch, denn ich dachte, Şəki sei doch eine Touristenstadt. Ich halte Ausschau nach Ansichtskarten, aber nirgends gibt es welche. Auch nicht in einem riesigen Gemischtwarenladen, ich versuche, dem Verkäufer zu erklären, was ich suche und was man damit macht. Er zeigt mir Briefumschläge und Fotoalben.
Ich steige weit bergauf bis zur Festung. Deren untere, der Stadt zugewandte Seite ist hübsch restauriert, das obere Ende ist mit vergammelnden sowjetischen Kasernengebäuden vollgebaut. Als ein Uniformierter auftaucht, lasse ich die Kamera schnell in der Tasche verschwinden. Ich bin auf fast 2000 m Höhe und es ist sonnig, aber kühl.
Auf der Festung gönne ich mir eine Teepause. Den Tee
serviert mein Taxifahrer von gestern. Ansonsten scheinen die Leute hier etwas
abweisender zu sein. Naja, ich kann auch mal ein wenig entspannen nach den
Anstrengungen der letzten Tage. Zum Tee wird eine kleine Portion Helva gereicht.
Das ist die Süßigkeitenspezialität, für die Şəki berühmt ist. Zahlreiche kleine Betriebe in der ganzen Stadt stellen diese Leckerei aus Zucker und Haselnüssen in vielen Varianten her und haben jeweis ein ganz besonderes und natürlich das beste Rezept. Ich besuche das stadtgeschichtliche Museum. Eine resolute Dame mit Englischkenntnissen führt mich im Eiltempo durch die Ausstellung und erläutert alles kurz. Wie die meisten Azeris ist sie ein bißchen verwirrt darüber, daß es Ausländer gibt, die kein Russisch sprechen. Das Museum ist schön. Es gibt auch eine Ecke zur Erinnerung an die Kriege. Die Stadt Şəki hat im 2. Weltkrieg 10600 Tote unter ihren Einwohnern zu beklagen gehabt. Auch die Zahl der Toten durch den Qarabağ-Konflikt beläuft sich auf einige hundert. Sie geht schnell in den nächsten Raum, weil ihr die Tränen in die Augen steigen.
Der Bergkarabach-Konflikt
Nagorny Qarabağ - Bergkarabach - „der bergige Teil Karabachs“ und einige benachbarte Landkreise, war schon vor 100 oder mehr Jahren ein Streitobjekt. Ähnlich wie in Jugoslawien hielt später die Sowjetdiktatur die verschiedensten Völker in einem Staat zusammen. Es gehört zum Territorium Aserbaidschans, hat seine Unabhängigkeit erklärt, wird aber von anderen Staaten nicht anerkannt. Vom Nachbarland Armenien besetzt und nur von dort erreichbar. 1992 - 1994 gab es einen blutigen Krieg, und an der streng bewachten Grenze fallen auch heute noch Schüsse und sterben Menschen. Die Aserbaidschaner sind komplett aus dem Gebiet vertrieben. Es ist ein „vergessener“ Konflikt, der ungelöst ist und es wohl noch lange bleiben wird.
Was die wirkliche Ursache des Konfliktes ist, habe ich nicht verstanden. Auch nicht, ob und welche der beiden Seiten nun „gut“ oder „böse“ ist – oder wer überhaupt den Anfang gemacht hat. Es geht auch nicht um Reichtümer oder Bodenschätze, sondern um eine Feindschaft zwischen Völkern. Die aserbaidschanische Seite stellt Armenien als Agressor dar, und das stimmt wohl auch. Die Gründe Armeniens kenne ich nicht, die ganze Sache ist vielschichtig. Ein über lange Zeit angewachsener großer Haß zwischen beiden Seiten vergiftet die Lage. Die Politiker beider Länder gehen auch heute noch nicht aufeinander zu, sondern man feindet sich immer noch an. Armenien orientiert sich stärker nach Rußland, Aserbaidschan nach Westeuropa und gibt viel Geld für Rüstung aus.
Der Krieg mit seinen vielen Toten hat im ganzen Land in vielen Familien für menschliche Tragödien gesorgt. Es ist ein emotionsgeladenes Thema, über das man nicht spricht. Besonders als Ausländer soll man es tunlichst meiden.
Nagorny Qarabağ - Bergkarabach - „der bergige Teil Karabachs“ und einige benachbarte Landkreise, war schon vor 100 oder mehr Jahren ein Streitobjekt. Ähnlich wie in Jugoslawien hielt später die Sowjetdiktatur die verschiedensten Völker in einem Staat zusammen. Es gehört zum Territorium Aserbaidschans, hat seine Unabhängigkeit erklärt, wird aber von anderen Staaten nicht anerkannt. Vom Nachbarland Armenien besetzt und nur von dort erreichbar. 1992 - 1994 gab es einen blutigen Krieg, und an der streng bewachten Grenze fallen auch heute noch Schüsse und sterben Menschen. Die Aserbaidschaner sind komplett aus dem Gebiet vertrieben. Es ist ein „vergessener“ Konflikt, der ungelöst ist und es wohl noch lange bleiben wird.
Was die wirkliche Ursache des Konfliktes ist, habe ich nicht verstanden. Auch nicht, ob und welche der beiden Seiten nun „gut“ oder „böse“ ist – oder wer überhaupt den Anfang gemacht hat. Es geht auch nicht um Reichtümer oder Bodenschätze, sondern um eine Feindschaft zwischen Völkern. Die aserbaidschanische Seite stellt Armenien als Agressor dar, und das stimmt wohl auch. Die Gründe Armeniens kenne ich nicht, die ganze Sache ist vielschichtig. Ein über lange Zeit angewachsener großer Haß zwischen beiden Seiten vergiftet die Lage. Die Politiker beider Länder gehen auch heute noch nicht aufeinander zu, sondern man feindet sich immer noch an. Armenien orientiert sich stärker nach Rußland, Aserbaidschan nach Westeuropa und gibt viel Geld für Rüstung aus.
Der Krieg mit seinen vielen Toten hat im ganzen Land in vielen Familien für menschliche Tragödien gesorgt. Es ist ein emotionsgeladenes Thema, über das man nicht spricht. Besonders als Ausländer soll man es tunlichst meiden.